Mieter in Not

    Ein Gutes hat die aktuelle Mietwohnungsmisere in Berlin: Mieterinnen und Mieter rücken näher zusammen, bilden Hausgemeinschaften. Statt sich nur mal im Hausflur zu begegnen, mit einem flüchtigen “Hallo”, treffen sie sich zum Kaffeetrinken im Hof oder feiern Parties, wenn ihnen denn danach ist. Oft aber sind die Meetings dafür da, Strategien zur Abwehr von Immobilienspekulanten auszuhecken. Das ist bitter nötig. Wie die Heuschrecken fallen die über den Berliner Altbaubestand her und kaufen alles, was sie kriegen können.

    Das Nachsehen haben die Mieter. Es drohen Luxussanierungen, Mieterhöhungen und das Weggraulen von Menschen, die nicht ausweichen können. Eine vergleichbare Wohnung zum bezahlbaren Preis im liebgewordenen Kiez, das wäre ein Sechser im Lotto. Gibt es aber nicht (mehr).

    Wie sich das anfühlt, wenn das Mietshaus mit 22 Parteien vom einem dieser Immobilienhaie gekauft wird, das haben mir die BewohnerInnen der Braunschweiger Straße 51 in Neukölln für meinen Bericht im ZDF erzählt. Kaum war ich am Thema dran, hörte ich die gleichen Geschichten im Freundeskreis.

    Wenn fremde Menschen in Anzug und Kostüm, mit Klemmbrett, Grundriss und Zollstock in der Hand, bis ins Dachgeschoss hochstiefeln und du sie hinter deiner Wohnungstür herumfantasieren hörst: “Ja, da könnten wir doch noch zwei, drei Wohnungen mehr draus machen”. Das ist beängstigend, reden die auch über deine Wohnung? Bei einer anderen Freundin liess sich die Aufteilung in Eigentumswohnungen nicht verhindern. Aber die Mietergemeinschaft hat, immer wenn Kaufinteressenten zur Wohnungsbesichtigung kamen, ausgelassene Parties gefeiert. Ihr Kalkül ging auf: Wer will schon eine Wohnung mit solchen Mietern kaufen? Bei einer dritten Freundin hat sich die Mietergemeinschaft über Jahre einen erbitterten Kampf gegen die Luxussanierer geliefert. Das war kräftezehrend, viele sind entnervt ausgezogen. Und dann berichtete mir eine vierte Freundin, übers ganze Gesicht strahlend, dass sie in genau diesem Haus eine geniale Dachwohnung gekauft habe. Die brisante Vorgeschichte ihres Wohnungsglücks wollte sie nicht von mir erfahren.

    Es stinkt zum Himmel, dass Wohnraum eine Ware ist, die nach den Massstäben der Gewinnmaximierung verscherbelt werden darf. “Wegen niedriger Zinsen ist viel freies Geld vorhanden,” so heißt es. Reiche Menschen, die mit den Banken keine Rendite mehr erwirtschaften, machen es jetzt eben mit Immobilien. Und kaufen selbst da Häuser auf, wo früher keiner wohnen wollte, wie im südlichen Nordneukölln.

    Während wir noch die Außenansicht der Braunschweiger 51 drehten, sprach mich ein älteres Päarchen an, das seit Ewigkeiten in dieser nicht gerade attraktiven Ecke Berlins wohnt. Sie zeigten die Straße rauf und runter: “Das Haus ist verkauft, und dahinten sind die Mieten hochgegangen, und da drüben sind schon alle Mieter ausgezogen. Aber wir gehen hier nicht weg.” Ich drücke den beiden die Daumen.

    Was im ach so angesagten Berlin mit Miethäusern passiert, das ist auch ständig Thema in den Medien. Ich lese es in der taz und im Tagesspiegel, am Montag sah ich es bei Plasberg, und am kommenden Sonntag ist es nun auch im ZDF, in der Sendung, zu der ich beigetragen habe.

    “Sonntags – TV fürs Leben”,  3.6.2018, 9 Uhr, ZDF

    „Mieter in Not?“ ab Sonntag in der ZDF-Mediathek.