Ein Dankeschön zum Muttertag

    Ulrike Pohl schickt ihrer Mutter einen Strauß Blumen. Andere ignorieren den Muttertag wegen seiner zweifelhaften Tradition. In dem unbeliebten Ritual zum zweiten Sonntag im Mai steckt aber mehr, fand ich, und wollte Menschen mit Behinderung nach ihren Müttern und ihrer besonderen Dankbarkeit fragen. Wie ich auf die Idee dazu kam, das hat eine Vorgeschichte.

     

    Vor einiger Zeit traf ich einen Mann, der als Spastiker einen anspruchsvollen akademischen Beruf ausübt. Das ist selten und könnte ein Portrait werden; erst mal kennenlernen war mein Plan für das Vorgespräch, dann schauen wir weiter.
    Seine Geburt vor mehr als vier Jahrzehnten war dramatisch. Dadurch hat er eine spastische Lähmung, die sein Sprechen und Gehen beeinträchtigt. Er holte mich mit dem Auto ab, in der fremden Stadt, in der ich mich nicht auskannte. Zuerst fiel es mir nicht weiter auf, aber als wir ausstiegen, und er zu seinen Krücken griff, musste ich nachfragen. Beim Laufen hat er nur wenig Kontrolle über seine Beine, dennoch fährt er leidenschaftlich gern schnelle Autos. Gas geben und bremsen geht mühelos. Spezielle Umbauten hat sein Auto nicht, nur ein Automatikgetriebe.

    Wie kam er durch die Führerscheinprüfung? Sie war intensiv, äußerst intensiv, erzählte er mir, es galt, die strengen Fahrprüfer zu überzeugen. Dass das gelang, verdankt er seinem Vater. Der war Fahrlehrer und hatte seinem einzigen Sohn so lange Fahrstunden gegeben, bis er trotz Spastik ein Auto sicher durch den Verkehr manövrieren konnte.  Zugegeben, unendlich viele Fahrstunden, ohne den Fahrlehrer in der Familie wäre das unbezahlbar gewesen. Der Mann war voller Dankbarkeit für die Freiheit hinterm Lenkrad, die ihm sein Vater geschenkt hatte.

     

    Die Geschichte kam dann doch nicht ins Fernsehen, sie war dem Protagonisten in seiner herausragenden beruflichen Stellung zu privat. Ich erzähle sie hier dennoch, wenn auch anonymisiert. Denn sie brachte mich auf die Idee, Erwachsene mit einer Behinderung zu fragen, was sie ihren Eltern verdanken. Der Sendetermin Anfang Mai machte daraus einen Dank zum Muttertag. Wir berichten oft über Mütter behinderter Kinder und ihren Kämpfen im Alltag. Aber die Kinder über die Mütter zu fragen, wenn sie längst Erwachsene sind, das ist neu.

     

    Olympiasiegerin Christiane Reppe lehnt an einer Mauer mit Grafitti

    Eine Kamera richtet sich auf Jan Meuel, der sich eine Broschüre ganz nah vor die Augen hält

     

    Für meinen Bericht fragte ich Ulrike Pohl, Behindertenreferentin, Christiane Reppe, Olympiasiegerin im Handbike und Jan Meuel, der sich für die kulturelle Teilhabe von Sehbehinderten einsetzt – und seine Mutter Ingrid. Ich bekam hoch interessante Antworten.

    “selbstbestimmt!”, 7.5.2017, 8 Uhr, MDR

    MDR-Mediathek: Ein Dankeschön zum Muttertag