Lügen vor Gericht

    Ein nackter Busen am Sonntagmorgen im ZDF – Ich habe vorsichtshalber gefragt, ob das geht. Am Ende – und das kann ich schon verraten, kam er nicht ins Fernsehen. Denn wie das Foto zeigt, hat der Kameramann eine ganz andere Perspektive: Er hält auf die schwörende Hand. Und darauf kommt es an: Der Schwur vor Gericht die Wahrheit zu sagen und nichts als die Wahrheit.

    Drei Monate lang bin ich an dieser Figur aus Stein vorbeigegangen. Das ist zwar schon ziemlich lange her, aber sie ziert seit mehr als hundert Jahren die beeindruckende Eingangshalle vom Kriminalgericht Tiergarten in Berlin-Moabit. Sie war also schon da, als ich meine Referendarstation in Strafsachen dort absolviert habe. Ich war einer Strafrichterin zugeteilt und erinnere mich an Stromdiebe, die aus purer Geldnot den Stromzähler überbrückten, und an Betrüger, die sich um Kopf und Kragen redeten. Neugierig fragte ich die Richterin, ob sie wisse, wenn einer lügt. “Na klar”, sagt sie achselzuckend. Mehr war aus ihr, die mich doch eigentlich auszubilden hatte, nicht rauszuholen. Fürs Strafrecht konnte die Dame mich nicht begeistern.

    Was ist Wahrheit, was ist Lüge? Erst jetzt als Fernsehautorin und an einem einzigen Drehtag habe ich begriffen, was mir in drei Monaten quälend langweiliger Gerichtsverhandlungen verborgen geblieben war. Mit einer speziellen Fragetechnik – die sich krass von meiner journalistischen Fragetechnik unterscheidet – wird der Wahrheitsgehalt einer Aussage überprüft. Heute gibt es dazu Fortbildungen. Meine Ausbilderin damals hatte hoffentlich bessere Kriterien als nur aus dem Bauch heraus zu urteilen. Denn ob ein Zeuge schwitzt und sich die Haare rauft, eine Zeugin ihr Taschentuch zerfleddert oder hektische Flecken am Hals zeigt, das zählt nicht. Das sagt auch der Bundesgerichtshof. Aber wenn ein Tathergang allzu glatt erzählt wird, mit den immergleichen Worten, gibt es schon mächtige Zweifel, ob nicht möglicherweise gelogen wird.

    Die Richterin Lisa Jani und die Strafverteidigerin Gesine Reisert haben mir noch viel, viel mehr zum Lügen vor Gericht erzählt. Ich hatte die Aufgabe, dies alles in viereinhalb Minuten auf den Punkt zu bringen, mit der Genugtuung, dass meine persönliche Geschichte mit dem Kriminalgericht Tiergarten nun auch zu einem guten Ende gekommen ist.

    „Sonntags – TV fürs Leben“, am 25.10.2020, 9 Uhr im ZDF

    oder ab Sonntag in der ZDF-Mediathek: Lügen haben kurze Beine