Marathon beim Marathon
Jeder Dreh hat einen Planungsvorlauf. Es gilt einen Zeitplan zu entwerfen, wann wollen wir was wo drehen? Wie viel Zeit brauchen wir, wenn wir an verschiedenen Orten drehen werden? Ein Drehtag hat nur ein gewisses Zeitkontingent, überschreiten wir es, wird es teuer – oder das Team ist erschöpft und lustlos. Als Autorin trage ich Verantwortung für alle Beteiligten. Ich bin deshalb immer sehr um einen guten Zeitplan bemüht.
Eine ungewöhnliche Planungsaufgabe stellte sich mir beim diesjährigen Berlin-Marathon. Ich muss sagen, ich liebe dieses Event sehr. Ich wohne ganz in der Nähe der Strecke – wie so viele, es geht ja durch ganz Berlin – und gehe immer zuschauen, bei uns an der Ecke und mal hier, mal da. Sogar am Zieleinlauf habe ich schon auf der Tribühne die Letzten bejubelt, die nach fünf, sechs Stunden erschöpft, aber glücklich endlich am Ziel waren.
Dann kam das ZDF auf mich zu, nichtsahnend von meiner Spezialkenntnis als Fan, und gab mir den Auftrag einen Läufer der Stiftung KinderHerz zu portraitieren: Alex Wieberneit, Gründer der KinderHerz-Läufer. Happy me!
Schnell war ich mit dem Kameramann einig, vom Teamauto auf Fahrräder umzusteigen. Er lieh sich sogar ein Lastenfahrrad, um die Ausrüstung, Kamera, Stativ, Ton, zu transportieren. Auch die Tonassistentin war bereit zur Strampeltour. So würden wir nicht im Stau hängenbleiben und könnten sogar an den Durchlassstellen durch die Absperrungen kommen.
Dann aber wurde es kniffelig: Wie würden wir unseren Protagonisten auf der Strecke finden, unter 24.000 Läuferinnen und Läufern aus aller Welt? Alex, der schon 40 Mal Marathon gelaufen ist und sich auf unseren Dreh zu seinem 15. Berlin-Marathon freute, gab uns den entscheidenden Tipp: Er läuft immer rechts und wir stellen uns auch immer so, dass wir die Strecke an unserer rechten Seite haben, wenn wir ihm entgegensehen. Um zu wissen wo Alex gerade läuft, konnten wir uns beim digitalen Tracking anmelden. Ein fantastischer Service der Marathonorganisation für alle, die ihren Liebsten zujubeln wollen.
Das Problem mit dem Drehplan
Der Marathon macht mit seinen 42,195 Kilometern eine Riesenrunde durch die Berliner Innenstadt. Wo können wir Alex abpassen? Wie schaffen wir es, rechtzeitig vor ihm da zu sein? Wird es möglich sein, uns zwischen dem übrigen Jubelvolk mit der Kamera genügend Platz zu verschaffen? Ich wählte vier Treffpunkte aus: Die spektakuläre Siegessäule, die schöne Moltkebrücke, die Kiezsituation am Kreuzberger Mehringdamm und der Zieleinlauf am Brandenburger Tor.
Alex ist ein schneller Läufer: 5 Minuten und 11 Sekunden braucht er für einen Kilometer, 3 Stunden 11 Minuten Bestzeit für die ganze Strecke. Das brachte auch mich ins Schwitzen. Ich begann die Kilometer zu zählen und zu rechnen. Ihn morgens vor dem Start am Brandenburger Tor zu treffen, war ja noch einfach. Aber würden wir es schaffen, die ganzen Stationen anzufahren, ihn nicht zu verpassen und ihn dann auch wirklich am Ziel zu erwischen? Wie peinlich für meinen Beitrag, das wichtigste Bild nicht zu haben: Alex beim Lauf durchs Brandenburger Tor!
Den Streckenverlauf in der Stadtmitte fand ich hinderlich. Er schlägt einen weiten Bogen bis zum Gendarmenmarkt. Wie gern hätte ich Alex am Potsdamer Platz gedreht, wo die Stimmung am Kochen ist. Aber von da rechtzeitig am Zieleinlauf sein – das war nicht zu machen. Aus meiner Fanerfahrung wußte ich: Wir würden die Strecke nicht queren können, das vordere Läuferfeld ist dicht, da ist kein Durchkommen. Und Alex ist so verdammt schnell. Also, Verzicht aufs schöne Bild – und fleißig radeln. Nochmal um den Gendarmenmarkt herum und später noch ein drittes Mal, insgesamt 28 Kilometer auch für uns.
Perfekt zum Ziel
Es hat geklappt. Vier Mal hat Alex uns gefunden, hat uns kurz etwas zugerufen und weiter ging’s, für ihn und für uns. Wie er jubelnd durchs Brandenburger Tor läuft, yeah, das haben wir!! Und dann das Sahnehäubchen. Mit meiner Presseakkreditierung bin ich allein in den abgesperrten Bereich am eigentlichen Ziel, 300 Meter hinter dem Brandenburger Tor, gegangen. Da habe ich auf ihn gewartet und konnte ihn auch da noch drehen: mit meinen ganz gewöhnlichen Smartphone, offensichtlich fernsehtauglich. Bei seinem Tempo wäre ein Standortwechsel mit der Profikamera nicht möglich gewesen.
Und Alex? 3:49 Stunden war seine Zielzeit, langsamer als sonst. Wir haben ihn nicht aufgehalten, es war der ungewöhnlich heiße Septembertag.
Auf dem Foto sieht er strahlend und frisch aus, als wäre er gerade ums Karree gejoggt. Dass er die letzten 20 Kilometer gegen die Hitze angekämpft hat, war ihm nicht anzusehen. “Für Euch, fürs ZDF habe ich durchgehalten!”
„Sonntags – TV fürs Leben“, am 17.10.2021, 9 Uhr im ZDF
oder in der ZDF-Mediathek: Sport tut gut
Alex Wieberneit hat die Gruppe der KinderHerz-Läufer gegründet. Mit fleißigem Laufen sammeln sie Spenden für herzkranke Kinder. Rund um den 47. Berlin-Marathon kamen 15.000 Euro zusammen.